YAP Steingeld

Es mag zwar seltsam anmuten, aber der Stein, den Du hier siehst, ist heute noch ein völlig gebräuchliches Zahlungsmittel auf der Insel Yap, irgendwo in Mikronesien, mitten im Pazifischen Ozean. Die Touristen, die auf die Insel kommen, staunen immer, wenn sie sehen, dass die Insulaner ihr „Geld“ auf der Straße herumliegen lassen. Zumal es sich nicht gerade um Kleingeld handelt! Die größten Exemplare haben einen Durchmesser von vier Metern und können bis zu 15 Tonnen wiegen. Aber woher stammt dieses merkwürdige Geld?

Vor ein paar hundert Jahren begaben sich die Einwohner von Yap auf die 400 Kilometer entfernte Nachbarinsel Palau, wo sie einen ganz besonderen Stein entdeckten: den Aragonit. Dieses Gestein war auf der Insel Yap unbekannt, und so bauten sie große Mengen davon in den Höhlen von Palau ab. Sie brachten die Steine auf ihre Heimatinsel, schnitten sie in Scheiben und bohrten in die Mitte ein Loch, in das sie einen Stab stecken und somit die Steine wie ein Rad fortbewegen konnten. Im Laufe der Zeit machten die Einwohner von Yap aus diesen Steinen ein Zahlungsmittel und nannten sie Rai.

Die Bootsfahrt von Palau nach Yap war damals voller Gefahren. Viele ließen dabei ihr Leben oder kamen versehrt zurück. Angesichts der eingegangenen Risiken und der vielen Opfer wurden die Steime immer kostbarer. Kurzum, wegen der gefährlichen Bootsfahrt und der Seltenheit des Materials (des Argonits) waren diese Steine für die Bewohner von Yap zu einem sehr wertvollen Gut geworden.

Du wirst dich jetzt fragen, wie der Wert eines Steins genau festgestellt werden konnte. Neben der besonderen Schönheit des Steins (Aragonit findet man zum Beispiel als Bestandteil von Perlen) und der mit dem Stein als solchen verbundenen Geschichte (sein Alter, die zahlreichen Opfer, die sein Abbau und sein Transport gefordert haben), spielen bei seiner Wertbestimmung auch die Größe und der soziale Status der Geschäftspartner eine Rolle. So hatten Steine, die durch die Hände reicher Leute gegangen waren, einen höheren Wert als solche, die sich im Besitz von Normalsterblichen befanden.

Seit 1931 wurde kein einziger Yap-Stein mehr hergestellt. Aufgrund ihrer Unhandlichkeit und ihres Gewichts wurden sie ab Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach durch amerikanische Dollar ersetzt, zumindest bei den täglichen Geschäften mit geringem Wert. Bei Großkäufen wie einem Haus oder einem Grundstück hingegen wird noch heute mit den Aragonit-Steinen bezahlt. Außerdem dienen sie zur Begleichung von Schadensersatzforderungen.

Auch die Art und Weise, auf die in der Vergangenheit Geschäfte mit Yap abgewickelt wurden (und bei Großeinkäufen heute noch abgewickelt werden), ist erstaunlich. Die Steine, die ihren Besitzer wechselten, wurden nämlich im Allgemeinen nicht fortbewegt! Sie blieben ganz einfach an dem Ort, an dem sie ursprünglich deponiert worden waren: am Straßenrand, vor einem Haus oder irgendeinem anderen Gebäude usw.

Der Diebstahl einer Rai kommt selten vor, denn bei den Insulanern ist es üblich, eine gegenseitige soziale Kontrolle auszuüben. Die meisten Einwohner von Yap kennen die Besitzer der Steine und haben großen Respekt vor dem Eigentum Anderer. Wie soll man im übrigen unerkannt einen Stein klauen, der 15 Tonnen wiegt?

Quelle: Lautz Th., Steinreich in der Südsee. Traditionelle Zahlungsmittel in Mikronesien, Köln, 1999.